Wirtschaftsspiegel Thüringen - Ausgabe 6/14 - page 16

Fach- und Führungskräfte
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Foto: Christopher Rynio/fotolia
In der Praxis stellt sich häufig die Frage, inwiefern ein Arbeitgeber die Vorlage
eines Führungszeugnisses von einem Arbeitnehmer verlangen kann. Das Lan-
desarbeitsgericht Hamm hatte sich in seiner Entscheidung vom 25. April 2014
(10 Sa 1718/13) mit genau dieser Frage zu beschäftigen. Ausgangspunkt war ein
Streit um die Wirksamkeit von Abmahnungen, weil eine Mitarbeiterin sich trotz
ausdrücklicher Anweisung weigerte, ihr erweitertes Führungszeugnis vorzule-
gen. Die Mitarbeiterin selbst war als Altenpflegerin im Rahmen einer Mitar-
beitervertretung tätig. Sie hat während ihrer Tätigkeit keinen Kontakt zu Min-
derjährigen, weder als Patient noch als Mitarbeiter.
Wann kann der Arbeitgeber ein
Führungszeugnis verlangen?
Das erweiterte Führungszeugnis (§ 30a
BZRG) ist eines von mehreren Arten von
Führungszeugnissen – neben dem pri-
vaten Führungszeugnis (§ 30 Abs. 1
BZRG), dem Behördenführungszeugnis
(§ 30 Abs. 5 BZRG) und dem Europä-
ischen Führungszeugnis (§ 30b BZRG).
Der Inhalt der Führungszeugnisse un-
terscheidet sich je nach seinem Zweck.
Der Arbeitgeber hat grundsätzlich kei-
nen Anspruch auf ein Führungszeugnis.
Dies gilt auch, wenn ein besonderes,
nachvollziehbares Interesse an der
Kenntnis bestimmter Vorstrafen be-
steht. Da das Führungszeugnis weitere,
weniger relevante Angaben enthalten
kann, überwiegt der Persönlichkeits-
schutz des Arbeitnehmers gegenüber
dem Informationsinteresse des Arbeit-
gebers. So mag der Arbeitgeber zum Beispiel ein be-
rechtigtes Interesse an Eintragungen im Zusammen-
hang mit Verkehrsdelikten bei einem Kraftfahrer ha-
ben, aber nicht an den sonstigen Verurteilungen.
Diese haben ihn nicht zu interessieren, weil sie in kei-
nem Verhältnis zur Tätigkeit stehen. Eine Vorlagever-
pflichtung besteht dann, wenn sie gesetzlich geregelt
ist. Dies gilt bei der Vorlage eines privaten Führungs-
zeugnisses bei persönlichen Mitarbeitern von Abge-
ordneten (§ 7 ThürAbgG). § 30a Abs. 2 BZRG enthält
die konkreten Fälle, wann ein erweitertes Führungs-
zeugnis dem Arbeitgeber vorzulegen ist – zum Nach-
weis der persönlichen Eignung nach § 72a SGB VIII im
Kinder- und Jugendbereich, wenn derjenige beruflich
oder ehrenamtlich zur Beaufsichtigung, Betreuung,
Erziehung oder Ausbildung von Minderjährigen einge-
setzt und wenn eine vergleichbare Tätigkeit mit
Kontakt zu Minderjährigen aufgenommen werden soll.
In diesem Zusammenhang stellte das LAG Hamm in
seiner Entscheidung vom 25. April 2014
fest, dass es für die Fälle des § 30a
BZRG erforderlich ist, dass die jeweilige
Berufsgruppe bestimmungs- und ar-
beitsplatzgemäß Kontakt mit Kindern
und Jugendlichen hat und dieser Kon-
takt zu einer besonderen Gefahren-
situation werden kann. Dazu reicht es
nicht aus, wenn man nur gelegentlich
Kontakt zu Minderjährigen erhalten
kann oder die Möglichkeit besteht, min-
derjährige Praktikanten in Zukunft zu
betreuen oder in einem Bereich des
Arbeitgebers eingesetzt zu werden, wo
der Kontakt zu Minderjährigen erforder-
lich ist. Es muss bereits zu dem Zeit-
punkt des Verlangens Kontakt zu Kin-
dern und Jugendlichen vorliegen. Auch
die Mitgliedschaft in einer Mitarbeiter-
vertretung, zum Beispiel im Betriebsrat
oder Personalrat, reicht nicht aus.
Insofern konnte der Arbeitgeber im Fall
des LAG Hamm keine Vorlage des er-
weiterten Führungszeugnisses verlan-
gen. Die diesbezüglich ausgesproche-
nen Abmahnungen sind unwirksam.
Alternativ zur Vorlage eines Führungs-
zeugnisses kann der Arbeitgeber jedoch
nach Vorstrafen fragen, soweit diese für
die Tätigkeit von einem berechtigten,
billigenswerten und schutzwürdigen
Interesse ist. Dieses liegt zum Beispiel
vor bei der Frage nach vermögensrecht-
lichen Vorstrafen bei Kassierern, im
Bankenwesen, bei Controllern, bei Pro-
kuristen und bei Buchhaltern.
Auch die Frage nach verkehrsrechtli-
chen Vorstrafen dürfte zulässig sein bei
Berufen wie Kraftfahrer, Rettungs- oder
Notfallsanitäter. Sofern derjenige die
Frage falsch beantwortet, besteht die
Möglichkeit, dieses Verhalten abzumah-
nen. Soweit die Frage im Rahmen eines
Bewerbungsgespräches erfolgt und
Grundlage für die Einstellung darstellt,
ist der Arbeitgeber berechtigt, den
Arbeitsvertrag gem. §§ 123, 124 BGB
anzufechten. (ks)
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